Rückblick 1: 2022 wurde ich von der AWO Darmstadt mit der Gestaltung und dem Porträt einer Frau beauftragt, die mir damals noch nicht bekannt war: Elisabeth
Kern. Alle 2 Jahre vergibt die AWO Darmstadt den Elisabeth-Kern-Preis. Der Preis soll an Frauen vergeben werden, die sich um die sozialen Belange der Stadt und in der
Arbeiterwohlfahrt verdient gemacht haben. Elisabeth Kern war eine der ersten weiblichen Stadtverordneten (SPD), Mitglied des Kulturausschusses und Vorsitzende der
Arbeiterwohlfahrt, eine engagierte Frau, die in der Darmstädter Brandnacht 1944 ums Leben kam, als sie versuchte, ihre alten Nachbarn aus dem brennenden Wohnhaus zu retten.
Der Elisabeth-Kern-Preis erinnert an diese bemerkenswerte Frau.
Im Rahmen meiner Recherchen kam ich mit Dr. Hans-Joachim Landzettel, den Enkel Elisabeth Kerns in Kontakt. In unseren Gesprächen erwähnte er auch seine Tante Käthe Kern, deren Persönlichkeit sofort meine Neugierde weckte.
Rückblick 2 in das Jahr 1932 – wir sehen auf einem Flyer eine Figur: Hitler, puppenhaft, aus dem hohlen Kopf quillt Stroh und dazu die Frage: „Der soll dein Herr sein?“ So der Titel eines Wahlflyers, den die Darmstädterin Käthe Kern, damals Leiterin des Frauensekretariats der Berliner SPD, 1932 beauftragt hatte. Ihre Frage war berechtigt: Im November 1918 wurde das reichsweite Frauenwahlrecht eingeführt, aber welche Partei in Deutschland würden die Frauen wählen? Viele Frauen waren konservativ oder schlossen sich dem Konsens ihrer Familien an. Vehement äußerte sich Käthe Kern gegen die Ziele der NSDAP. Umsonst – die NSDAP kam an die Macht und im Juni 1933 wurde Kern verhaftet. Wer war Käthe Kern?
Käthe Kern, 1900 in Darmstadt geboren, stammte aus einer Familie von engagierten Sozialdemokraten. Ihr Vater, Jacob Kern, war Parteivorsitzender der SPD, ihre Mutter, Elisabeth Kern, zog als eine der ersten Frauen für die SPD ins Stadtparlament. Als Elisabeth Kern 1933 von der Verhaftung ihrer Tochter erfuhr, reiste sie laut ihrem Enkel Dr. Hans Joachim Landzettel, unverzüglich nach Berlin, wo es ihr gelang, die Freilassung Käthes zu erreichen. Diese arbeitete dann ab 1935 als Sekretärin bei den Preußischen Bergwerkshütten (später Preussag). Im Geheimen jedoch, war sie für Wilhelm Leuschner und dessen Widerstandsbewegung tätig, mit dem sie eine enge Freundschaft verband. Wilhelm Leuschner hatte im Kontext des geplanten Stauffenberg-Attentats vom 20. Juli 1944 ein weitreichendes, konspiratives Netz aufgebaut. Käthe Kern gehörte zu den wenigen „Knotenpunkten“ in diesem geheimen System. Zusammen mit Theodor Haubach, Carlo Mierendorff und Hermann Maaß war sie die einzige Frau in dem engen Kreis um Wilhelm Leuschner. Durch ihre Arbeit bei der Preussag gedeckt, tippte sie Texte zu den geplanten Widerstandsstrukturen, arbeitete als Kurierin und übernahm die Korrespondenz zu Kontaktpersonen.
Das Faszinierende an Biografien ist, dass sie nicht immer geradelinig verlaufen. Zwiespälte und Widersprüche gehören dazu und führen zu Fragen: Warum entschied sich die so engagierte Sozialdemokratin Käthe Kern für eine Karriere in der DDR? Warum unterwarf sie sich der stalinistischen Doktrin? Auf jeden Fall sah Käthe Kern in der neu entstehenden DDR mehr Möglichkeiten, die Rechte von Frauen durchzusetzen. Zunächst war sie Mitglied des Zentralausschusses der SPD in Berlin und Frauensekretärin der SPD. Im April 1946 wurde sie auf dem Vereinigungsparteitag in das Zentralkomitee der SED gewählt, arbeitete jedoch nicht im Politbüro. Bis 1949 leitete sie mit Elli Schmidt paritätisch das Frauensekretariat der Partei und wurde Mitglied im FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund). Sie zählte von 1947 bis 1949 zu den Mitbegründern des DFD (Demokratischer Frauenbund Deutschlands). Sie bewegte vieles rund um Kinderbetreuung, Arbeitsschutz für Frauen und deren Rechte. Der Journalist Ludger Fittgau hat aktuell ein Buch im Lukas Verlag herausgebracht, das Käthe Kern und weitere Frauen in den Fokus setzt. (Ludger Fittkau: Man lebt ja nicht um seiner selbst willen Die Frauenrechtlerin Käthe Kern und der 20. Juli 1944 Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus ISBN 978-3-86732-435-9)
Ich danke Ludger Fittkau und vor allem Dr. Hans-Joachim Landzettel für die schönen und intensiven Gespräche.