„...So richtete ich mein Hauptaugenmerk ganz auf unser Hessenland und versuchte, unser Land so viel wie möglich in die Höhe zu bringen, damit es eine angesehene Stellung unter den Staaten Deutschlands hätte." (Großherzog Ernst Ludwig in seinen Memoiren) – durch die Covid-Pandemie hat sich die Entscheidung über die Aufnahme der Künstlerkolonie Darmstadt in das UNESCO-Welterbe leider verzögert. Auch wenn diese Verzögerung an den „Nerven" zerrt – ein Grund mehr des großartigen Mannes zu gedenken, dem wir unseren Hochzeitsturm sowie all die anderen Errungenschaften, von denen wir heute profitieren, überhaupt zu verdanken haben: Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein
Alice, Großherzogin von Hessen und bei Rhein, Mutter von Großherzog Ernst Ludwig, hochgebildete und sozial engagierte Fürstin, war das zentrale Vorbild in Ernst Luwigs Leben. „Ich bin ernstlich bestrebt, sie frei von allem Stolz auf ihre Stellung aufzuerziehen, welche ohne das, was ihr innerer Wert daraus machen kann, nichts ist...", so Alice 1869 an ihre Mutter Queen Victoria. Viktorianische Erziehung war streng: „...einfache Nahrung, strenge Regelmäßigkeit, früh zu Bett und früh auf. Aufstehen kurz nach sechs Uhr früh, auch im Winter bei klirrendem Frost, Unterricht um sieben Uhr, gefolgt vom Frühstück um neun Uhr..." Aber parallel zu den strengen Abläufen wuchsen die Kinder von Alice in einer Welt der Künste auf. Sie waren tagtäglich von Musik, Kunst und Kultur umgeben.
Ernst Ludwig – Autor, Komponist und Indienreisender – führte das Werk seiner Mutter fort. Es gibt so viel über diesen vielseitigen Mann zu berichten. Er engagierte sich in sozialen, wirtschaftliche und kulturellen Projekten und brachte sein „Hessenland" voran. Dabei hatte er ausreichend Tragödien zu verkraften: Der frühe Unfalltod des kleinen Bruders Friedrich, der Tod der Schwester Marie sowie der Mutter Alice durch Diphterie, der Tod der geliebten, kleinen Tochter Elisabeth, die spätere Vernichtung der Zarenfamilie seiner Schwester Alix – man könnte meinen, soviel sei für einen Menschen kaum zu ertragen. Aber Ernst Ludwig blieb seinen Grundsätzen und Idealen treu: „Auf diese Art kam es auch, dass man mich später oft den Roten Großherzog nannte, weil ich jedem gegenüber versuchte gerecht zu werden, einerlei, was er war oder für politische Anschauungen hatte."
Er war Förderer und Initiator vielfältigster Aktivitäten. 1899 startete er ein einzigartiges Projekt, das Kunst mit Design und Praxis verband: die Künstlerkolonie Darmstadt. Die Beteiligung an der Weltausstellung in Paris 1900 sowie zahlreiche Ausstellungen waren Höhepunkte des gemeinsamen Schaffens unterschiedlichster Künstler. Zentrales Ziel des Projekts war es, die heimische Industrie zu fördern. Ernst Ludwig setzte sich für den Luftverkehr und die Erweiterung des Schienennetzes ein.
So ermutigte er auch das Familienunternehmen Opel, die ersten Automobile zu bauen. Immer wieder besuchte er die
Familie, die bis dahin nur Fahrräder hergestellt hatte, um sie vom Bau motorisierter Fahrzeuge zu überzeugen. Er selbst fuhr später immer mit Opel-Fahrzeugen, um das Unternehmen zu
unterstützen.
Eine weitere Aktivität war die Erneuerung des Kurbads Bad Nauheim, bei dem zahlreiche seiner Entwürfe umgesetzt wurden. Denn Ernst Ludwig war neben seinen Talenten als Autor und
Komponist auch als Künstler tätig, wie eine ausnehmend interessante Sammlung von Aquarellen des Instituts Mathildenhöhe belegt.
In Folge der Revolution von 1918 musste er unfreiwillig abdanken, blieb jedoch weiterhin aktiv und hochgeachtet. Dank seiner Initiative siedelte sich 1920 die von Hermann Graf Keyserling gegründete „Schule der Weisheit“ in Darmstadt an – ein philosophisches Zentrum, das auch der indische Dichter Rabindranath Tagore als Lehrender besuchte.
Man könnte noch so viel zu diesem außergewöhnlichen Mann schreiben, dem Hessen so viel zu verdanken hat.
Aber der Platz reicht einfach nicht aus :-)
Ich bedanke mich an dieser Stell bei Dr. Philipp Gutbrod, Institut Mathildenhöhe Darmstadt für das interessante Gespräch und die Unterstützung.