4. April 2019: Ich gehe einen nüchternen, hellen Gang entlang, vorbei an den geschlossenen Türen der Società Dante Alighieri Comitato di Darmstadt, der Lichtenberg-Gesellschaft, der Darmstädter Goethe-Gesellschaft und wundere mich als Uneingeweihte über die vielen Gesellschaften, die hier auf engem Raum vereint sind. Ich befinde mich im Literaturhaus Darmstadt und habe eine Verabredung mit Agnes Schmidt, der ehrenamtlichen Leiterin der Luise-Büchner-Gesellschaft. Endlich fällt Licht durch eine geöffnete Tür und ich betrete die Luise-Büchner-Bibliothek. Ich finde es sehr hilfreich, für meine Porträts Unterstützung bei Experten zu holen und Agnes Schmidt kennt sich aus. Schließlich hat sie schon vieles rund um Luise Büchner publiziert. Wir unterhalten uns eine ganze Weile. Ich erfahre viele Details zu Luise Büchner, vor allem auch zu ihren Vorträgen. Besonders gut gefällt mir der Artikel „Die Frauen und die Maschinen" ("Neue Bahnen", Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins, Nr. 21/1866). Mit Witz und Ironie präsentiert hier Luise Büchner ihren Zeitgenossinnen die Vorteile moderner Haushaltsgeräte wie den Dampfkochtopf oder die Waschmaschine... und rechnet aus, wieviel Zeit Frauen durch deren Einsatz einsparen könnten – Zeit, die sie für ihre Weiterbildung verwenden könnten. Und das ist auch bereits ein Kernstück von Luise Büchners Herzensanliegen:
Zur Zeit von Luise Büchner sind die Perspektiven für Frauen sehr begrenzt. Ohne Ehemann oder schützende Brüder kann eine Frau kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten. Frauen haben keine Bildungsmöglichkeiten, keine Ausbildung und erst recht keinen Beruf. Entfällt der männlich Schutz, droht das Armenhaus. Auch in der gutbürgerlichen Gesellschaft ist es kaum besser. Frauen lernen etwas Zeichnen, Musizieren oder Konversation, aber auch hier bleibt ihnen der Weg zu einer besseren Bildung meist verschlossen.
Anders bei Luise Büchner – in der außergewöhnlichen Büchner-Familie aufgewachsen, lernte sie mit ihren Brüdern und beteiligte sich an den lebhaften Diskussionen im Hause. Durch einen Unfall in ihrer Kindheit hatte sie eine Rückenverkrümmung, die sie zeitlebens behinderte. Sie lebte mit ihrer Schwester Mathilde im Haus ihrer Eltern und später im Hause ihres Bruders Ludwig Büchner. Sie nutzte ihre Möglichkeiten und bildete sich weiter. 1855 wurde zunächst anonym ihr bekanntestes Werk „Die Frauen und ihr Beruf" herausgegeben, in dem sie sich dafür einsetzte, dass Mädchen eine bessere, schulische Ausbildung erhielten. Und sie forderte die Ausbildung und Anstellung von Lehrerinnen für Mädchenschulen. 1872 erschien ihr Berufsratgeber. Hier stellte sie unterschiedliche Berufe wie Krankenschwester, Erzieherin oder Postbeamtin vor, beschrieb Ausbildungsmöglichkeiten und Gehaltsangaben. Besonders wertvoll war ihre Freundschaft mit Großherzogin Alice von Hessen und bei Rhein.
Die beiden initiierten diverse Frauenvereine im Großherzogtum Hessen-Darmstadt: Der Alice-Frauenverein für Krankenpflege bildete junge Frauen zur Krankenschwester ohne konfessionelle Bindung aus. Später ging daraus das Alice-Hospital Darmstadt hervor. Es entstand der Verein für Förderung weiblicher Industrie (ab 1872 Alice-Verein für Frauenbildung und -Erwerb) mit dem Alice-Basar, einer Verkaufsstelle für Heimarbeiterinnen, die Alice-Schule, eine Berufsfachschule für Mädchen. Daneben leitete Luise Büchner eine Art Volkshochschule für Frauen, das Alice-Lyceum. Auf Grund Ihrer Erfahrung war Luise Büchner als Vortragende gefragt und reiste zu Kongressen und Treffen. Aber noch fehlte mir ein persönlicherer Zugang zu der auf mich recht streng wirkenden Luise – und so treffe ich mich mit Peter Brunner, dem Leiter des Büchnerhauses.
Diesmal sitzen wir im Café Wellnitz bei Tee und Kuchen und plaudern über Luise. Zu meinem großen Vergnügen stellt mit Peter Brunner den wunderbaren Artikel „Der Damenkaffee" zur Verfügung. Hier beschreibt Luise Büchner mit Biss und Ironie die unseligen Kaffeestunden bürgerlicher Damen ihrer Zeit: anstatt sich weiterzubilden, wird hier sinnlos getratscht und Zeit vergeudet. Luise, durchaus vom protestantischer Eifer beflügelt, empfiehlt den Damen dringendst, ihre Kaffeekränzchen zu reduzieren und sich stattdessen um eigene Zukunftsperspektiven zu bemühen. Mich beflügelte dieser amüsante Text zu einige Kaffeespielereien und ein paar der entstandenen Kaffeespritzer sind auch in meiner Illustration zu finden.
Was bleibt zu sagen? Luise Büchner war keine Revolutionärin. Die Institution der Ehe und die Stellung der Frau zog sie nicht in Zweifel. Aber sie bereitete auf ruhige, konsequente Weise mit ihren Schriften und Büchern vieles vor, was später in der Praxis umgesetzt wurde – eine ruhige Weichenstellung im Hintergrund. Dafür lieben wir Dich heute, Luise!!
Großer Dank an Agnes Schmidt von der Luise-Büchner-Gesellschaft sowie Peter Brunner vom Büchnerhaus für Tipps, Informationen, Lesestoff und inhaltliche Korrekturen.