Da reitet sie auf Ihrem Pferd, den Wind im Gesicht – Karoline – die große Landgräfin mit dem ewig langem Namen: Karoline Henriette Christine Philippine Luise von Pfalz-Zweibrücken. Keine anderes Persönlichkeit hat mich über die Jahre hinweg so motiviert wie diese Frau. Bereits in meinem Plakat „Darmstädter" fliegt sie auf ihrem Pferd über Darmstadt und trüben Konventionen hinweg. Und sie war bei dem Kalenderprojekt von Anfang an mein Leitmotiv. Unbekümmert schrieb ich in dem Kalendertext über sie: „...mit fünfzig stieg sie noch auf den Melibokus.." „Halt", ruft Freund Paul „Das musst Du erklären. Kein Mensch findet es heute bemerkenswert, mit fünfzig auf den Melibokus zu steigen..." Paul hat Recht.
Wir sind im Rokoko. Man starb früh. Mit fünfzig war man definitiv alt. Wir befinden uns in einer Zeit, in der der Adel unter den monumentalen Kleidern Flohfangkapseln trug. Baden und Waschen galt als gefährlich – nicht ganz unberechtigt, wie mir bei der Führung im Darmstädter Schloss versichert wurde. Der hygienische Zustand des Wassers war bedenklich. Also puderte man lieber drüber und nutzte Mengen von Parfüm.
Umso erstaunlicher ist daher der Wunsch von Landgräfin Karoline nach frischer Luft und Bewegung. Im Adel wurde man als Frau strategisch verheiratet und hatte für die Nachkommenschaft, möglichst männliches Geschlechts, zu sorgen. Karoline heiratete am 12. August 1741 in Zweibrücken den nachmaligen Landgrafen Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt und das gar nicht gegen ihren Willen. Sie hatte sich bewusst für ihn entschieden, allerdings gingen ihre Interessen doch zu sehr auseinander. Karoline war musisch und literarisch interessiert, während sich Ludwig fast nur für das Militär begeisterte. Es gab also viel Krach im Hause und letztendlich setzte Karoline eine sogenannte „Konvenienzehe" durch. Sie begründete vier Jahre nach der Eheschließung eine eigene Hofhaltung und lebte in den ersten Ehejahren vorwiegend in Buchsweiler, während ihr Ehemann Pirmasens zur Garnisonsstadt ausbaute. Nach Ausbruch des Siebenjährigen Krieges bezog Karoline nach einem erneuten Aufenthalt in Buchsweiler schließlich mit den Kindern die Residenz in Darmstadt.
Landgräfin Karoline war eine sehr gebildete Frau, intelligent und stets auf der Suche nach geistigem Austausch. So korrespondierte sie unter anderem mit verschiedenen Gelehrten ihrer Zeit, etwa Johann Gottfried Herder, Christoph Martin Wieland und Goethe und galt als geistreichste Fürstin ihrer Zeit. Sie schrieb an die 5000 Briefe, 2555 davon an ihren Mann. In Darmstadt protegierte sie den „Kreis der Empfindsamen", darunter der junge Goethe und Martin Wieland, die sich regelmäßig trafen und um sich auszutauschen zu dichten und lyrischen Themen hinzugeben. Es ist nicht bekannt, ob sie an den Treffen teilnahm, aber es geschah mit ihrem Einverständnis – nur das Nacktbaden von Goethe im Woog – ging der großen Landgräfin dann doch zu weit.
Ein besondere Beziehung verband sie auch mit Friedrich II. von Preußen, mit dem sie ebenfalls viel
korrespondierte. Sie war eine der wenigen Frauen, die er respektierte – Er nannte sie einmal „Zierde und Bewunderung unseres Jahrhunderts" und anlässlich ihres Todes schickte er eine marmorne
Urne mit der Aufschrift „femina sexu, ingenio vir" (von Geschlecht eine Frau, vom Geist ein Mann) nach Darmstadt, die noch heute im Herrngarten zu besichtigen ist.
Karoline hatte aber auch fünf Töchter und die galt es vorteilhaft zu verheiraten. Keine leichte Aufgabe!!
Durch kluge Schachzüge und ihr diplomatisches Geschick gelang es ihr dennoch, alle fünf Töchter so zu verheiraten, dass spätere Darmstädter Fürstengenerationen davon profitierten.
Aber vor allem profitierten Ihre Nachkommen von dem Klima kultureller Bildung und Weltoffenheit, das sie aufgebaut hatte. Eine Künstlerkolonie Mathildenhöhe wäre ohne die „nachhaltige" Erziehung Karolines nicht möglich.
Und so kann ich meine Bewunderung für diese Frau nur in Form von einem Bild ausdrücken. Ihr Mut, ihre Weltoffenheit und ihre Selbsständigkeit motivieren mich nachwievor und sage daher: „Danke – Karoline!"